1. Christus allein

Wir bekräftigen die 1. These der Theologischen Erklärung von Barmen: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ Die Offenbarung des einen Wortes Gottes hat aber verschiedene Gestalten. Es hat sich in der Menschwerdung Jesu Christi einmalig ereignet, aber in der Heiligen Schrift auch dauerhaften Bestand erhalten. Jesus Christus ist das Menschenpersönlichkeit gewordene Wort Gottes, die individuelle Offenbarung Gottes innerhalb der Menschheit, das persönliche Wort Gottes. In der Gestalt von Brot und Wein wird es im Abendmahl dargereicht und in der Gestalt der christlichen Gemeinde als Leib Christi stellt es sich der Welt dar. Die Heilige Schrift ist das geschriebene Wort Gottes, die durch die Sprache vermittelte Wort - Offenbarung Gottes innerhalb der Menschheit. Die verschiedenen Gestalten der einen Offenbarung gehören zusammen. Die geschehene und geschriebene Gestalt der Offenbarung lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Die Menschwerdung des Gottessohnes und die Schriftwerdung der Offenbarung des Gottesgeistes entsprechen einander. Genauso wie der ewige Gottessohn sich in Jesus von Nazareth erniedrigt hat, so hat sich der Heilige Geist ins Wort der Heiligen Schrift herabgelassen. Es besteht eine Analogie zwischen der göttlich - menschlichen Wesensart Jesu und der göttlich - menschlichen Wesensart der Bibel. Das bedeutet: Die Bibel ist nicht nur ein Zeugnis von der Offenbarung. Ihr eigentlicher Gehalt muss nicht mehr hinter ihr gesucht werden, sondern kann in ihr selbst gefunden werden.

2. Die Schrift allein

Wir bekräftigen die reformatorische Überzeugung: Jesus Christus ist die Mitte der Heiligen Schrift. Von ihm her und auf ihn hin ist sie zu lesen und zu verstehen. Diese Mitte lässt sich jedoch nicht aus dem Ganzen der Schrift herausfiltern. Denn jede Schriftstelle steht  in einem bestimmten Bezug zu dieser Mitte, so dass die Kritik an einer Stelle der Schrift zugleich auch Kritik an ihrer Mitte bedeutet. Ein „Kanon im Kanon“ der Bibel (ein Maßstab im Maßstab der Bibel) kann darum lediglich ein ordnendes Prinzip sein, nicht jedoch ein Kriterium für die Ausscheidung biblischer Texte. In soteriologischer Hinsicht (was das Heil des Menschen betrifft) ist Christus von primärer und die Schrift von sekundärer Bedeutung. Aber in erkenntnistheoretischer Hinsicht ist die Schrift primär, denn ohne die Bibel wissen wir so gut wie nichts von Jesus. Der kritisch gegen bestimmte Schriftstellen gewendete „Kanon im Kanon“ führt unausweichlich dazu, dass das subjektive Wahrheits- und Glaubensverständnis des Auslegers begründet und festlegt, was zu glauben ist.

3. Allein durch den Glauben

Wir bekräftigen die reformatorische Sicht vom Menschen als einem ganz und gar von Gott abgefallenen, der nur durch den Glauben an den Erlöser Jesus Christus wieder mit Gott verbunden werden kann. Das bedeutet, dass im Menschen kein von der Sünde unberührter Bereich besteht, an den Gott mit seinem Heilshandeln anknüpfen könnte. Auch die Vernunft ist in die Rebellion gegen Gott mit hineingerissen und kann darum zu einem mit Gott versöhnten Leben nichts beitragen. Ihre soteriologische und ethische Disqualifikation schließt ihre schöpfungstheologische Funktion in weltlichen Dingen jedoch nicht aus. Deshalb gilt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten ...“ (Kleiner Katechismus)  Kein menschlicher Lebensbereich lässt sich ohne die durch den Heiligen Geist gewirkte Glaubensgemeinschaft mit Gott recht gestalten.

4. Allein durch die Gnade

Wir bekräftigen die reformatorische Einsicht in die Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade. Sie wird weder als Belohnung für die Erfüllung bestimmter Gebote zuteil, noch als Strafe für die Missachtung von Geboten verloren. Christus ist die personifizierte Gnade Gottes. Gottes Gnade wird allerdings nur recht verstanden im Licht des biblischen Sündenbegriffes. Die Sünde ist nicht nur ein Mangel an Gutem, sondern bedrohender und zerstörender Eingriff in die Lebenswirklichkeit, der auf den Sünder zurückfällt. Sünde  verstrickt in Un - Wirklichkeit und Trennung von Gott (1. Mose 3), die nur vergeben wird, durch den, der sein Leben für den Sünder zu vergeben hat: Jesus Christus. Die Überwindung der Sünde ist darum keine Möglichkeit menschliches Glaubens, Hoffens und Liebens, sondern einzig und allein gnädige Rettungstat Gottes in Kreuz und Auferstehung, wodurch sich Gott zum gefangenen Menschen neu in Beziehung setzt. Seine Versöhnung beinhaltet nicht einfach nur den Freispruch des Sünders, sondern auch das Gericht über die Sünde. Ein abstrakter, allversöhnender Rechtfertigungs- und Liebesbegriff, der nur mehr den Freispruch von der Sünde, aber nicht mehr das Gericht über die Sünde sieht, missversteht Gottes Gnade.

5. Gesetz und Evangelium

Wir bekräftigen die reformatorische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Diese Unterscheidung im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Aufgaben bedeutet jedoch keine absolute Scheidung etwa im Sinne der Ablösung des Gesetzes durch das Evangelium. Das Auseinanderreißen von Gesetz und Evangelium im Sinne der Ablösung des Gesetzes durch das Evangelium lässt Gottes Gnade zur „billigen Gnade“ verkommen. Das  Gesetz hat im Rechtfertigungsgeschehen die Funktion, den Menschen von Schuld und Sünde zu überführen. Es treibt in die Arme des Erlösers (Gal. 3, 24), der das ganze Gesetz erfüllt hat und durch Kreuz und Auferstehung vor Gott gerecht macht. Daneben hat das Gesetz aber auch einen schöpfungstheologisch bestimmten Geltungsbereich. Der bleibende ethische Gehalt des Gesetzes zeigt sich darin, dass es schöpfungsgemäß ist, und einen Ausdruck der Liebe Gottes darstellt. Alles Natürliche ist auch nach dem Sündenfall noch bestimmt durch den Erhaltungswillen Gottes und die Ausrichtung auf Christus. Darum ergibt sich aus dem kreatürlichen Sein ein Sollen. Allerdings führt der Weg vom Sein nicht unmittelbar zum Sollen und zum Tun des Willens Gottes, sondern er wird erst durch Christi Wort und Kraft gangbar. Die geschöpfliche Konstitution des Menschen und seine verbliebene Gottebenbildlichkeit bilden die Grundlage für seine ethische Verantwortlichkeit. Das Evangelium spricht den Menschen von seiner Schuld frei. Deshalb kann er im neuen Gebot, das Christus seinen Jüngern gegeben hat, in der Liebe, leben. Dieses neue Gebot ist identisch mit dem alten Gebot und dem Wort, das die Jünger von Anfang an gehört haben („Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ Joh. 5,46+47 vgl. 1. Joh. 2, 7). Die Liebe bleibt also nicht unbestimmt und inhaltsleer, sondern sie erfährt durch das im Kreuz Christi ausgedrückte Nein zur Sünde und Ja zum Sünder ihre unverwechselbare Konkretion als Gesetz und Evangelium. Gesetz und Evangelium werden also dadurch am besten unterschieden, dass beides klar aufeinander bezogen bleibt. Im Offenbarwerden von Gottes Gnade wird auch sein Gesetz offenbar, denn das, was Gott für den Menschen tut, ist immer zugleich das, was er von ihm will. Gott spricht also nicht zuerst durch das Gesetz und danach im Evangelium, sondern indem er sein Wort spricht, verkündet er zugleich Gesetz und Evangelium. Gesetz und Evangelium sind auf Christus bezogen. Er ist die Mitte zwischen beiden. Das Gesetz redet genauso von Christus und seinem Geist wie das Evangelium. Aber während das Gesetz imperativisch fordert, und der Mensch daran zerbricht, spricht das Evangelium indikativisch zu, dass in Christus das Heil da ist, das den Menschen heilt und sein Leben heiligt.

ABCÖ, September 1998