3. Die Einheit von Erniedrigung und Herrlichkeit Gottes
Der Gegensatz von Vergöttlichung der Bibel und Entmenschlichung ihrer Aussagen auf der einen Seite und Vermenschlichung der Bibel und Entgöttlichung ihrer Aussagen auf der anderen Seite ist durch den Gott, der selbst ein Schriftsteller wurde, überwunden. Ein Gottesstandpunkt, der die Wahrheit hinter bzw. über der Offenbarungsgeschichte sucht, entspricht weder der Inkarnation Gottes noch der Geschichtlichkeit und Geschöpflichkeit des Menschen. Auf diesem Gottestandpunkt erkennt sich der Mensch selbst nicht mehr als zeitbedingt und zeitbezogen, bleibt im eigenen Horizont gefangen und macht sich selbst zum Kriterium dessen, was ihm gesagt werden darf. Gottes Wort verkommt dann zu einem Wort, das sich der Mensch ohne die Offenbarung Gottes auch selber sagen kann. Wenn das Rederecht dessen, was als Offenbarung begegnet, aus prinzipiellen Gründen von vornherein eingeschränkt wird, muß aus der Begegnung automatisch eine Entgegnung werden.
Die Inkarnation des Gottessohnes und die Schriftwerdung der Offenbarung des Gottesgeistes entsprechen einander. Genauso wie der ewige Gottessohn sich in Jesus von Nazareth inkarniert, so erniedrigt und inverbiert sich der Heilige Geist im Wort der Heiligen Schrift. Es besteht eine Analogie zwischen der göttlich - menschlichen Wesensart Jesu und der göttlich - menschlichen Wesensart der Bibel. Jesu Geschichte offenbart, daß er umsomehr Mensch ist, je mehr er Gott ist, und umsomehr Gott, je mehr er Mensch ist. Aber wie bei der Entäußerung in die Knechtsgestalt des Menschseins Christus nicht in das Irren, Fehlen und Sündigen der gefallenen Menschen eingegangen ist, ebenso hat auch die Entäußerung des Gotteswortes in die Knechtsgestalt des biblischen Menschenwortes nicht ein unzuverlässiges, unsicheres und irrendes Gotteswort erzeugt, sondern gerade mitten in einer der gefallenen Menschheit verhafteten Denk- und Ausdrucksweise ewiges Leben schenkende, vertrauenswürdige Heilswahrheit offenbart.
Die Knechtsgestalt der Heiligen Schrift ist gerade ihre Herrlicheit. In ihrer Niedrigkeit offenbart sich die Herrlichkeit der Herablassung Gottes, der anstößig für die menschliche Vernunft die Niedrigkeit menschlicher Worte erwählt, um genau damit der Welt sein göttliches Wort zu sagen. Es macht die Einheit der Offenbarung aus, daß Gott sich erniedrigt und herabläßt. Zur zeitlichen Geschichtswahrheit, in der Gott sich bekannt gemacht hat, gehört die niedrige Gestalt des Buches, das diese Wahrheit bezeugt.Gott tritt in der Knechtsgestalt des Sohnes, aber auch mit dem in der Schrift verkleideten, verhüllten göttlichen Wort vor die Welt, weil nur durch ein Werk der Demut und Herablassung Gottes, der Stolz des Menschen überwunden, und der Mensch für Gott gewonnen wird.