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5. Die Einheit von Menschlichkeit, Geschichtlichkeit und Inspiration

Die volle Menschlichkeit und Geschichtlichkeit des biblischen Wortes und seine Inspiration schließen einander nicht aus. Gott hat Menschen mit ihren Gaben und Eigenarten, aber auch mit ihren Beschränktheiten und Schwächen in einer jeweils ganz bestimmten geschichtlichen Situation seines Wirkens dazu erwählt und durch seinen Geist befähigt, sein Wort zu sagen. Das Menschliche und Geschichtliche an ihrem Wort wird von Gott gerade nicht ausgeschaltet, sondern bejaht und in seinen Dienst genommen.

Die Inspiration der biblischen Autoren ist nicht nur Personalinspiration, auch nicht nur Realinspiration, sondern als Verbalinspiration vor allem Ganzinspiration im Sinn einer Inverbation des Heiligen Geistes als Analogie der Inkarnation Christi. Solche Ganzinspiration ist auf den Urtext bezogen, darf nicht mechanisch als Diktatinspiration mißverstanden werden und führt deshalb auch nicht zu einer atomistischen Betrachtungsweise der Bibel. Ganzinspiration bedeutet nicht, daß jeder Text der Bibel das gleiche Gewicht hat. Sie schließt vielmehr die Bejahung fortschreitender Offenbarung ein. Die Ganzin-spiration bekräftigt lediglich, daß jedes Wort der Schrift vorhanden ist, weil Gott es gewollt hat. Ganzin-spiration meint, daß es gerade die konkrete biblische Offenbarung ist, die Gottes Geist geschaffen hat. Gottes Anrede ist eben nicht auch anderswo zu finden. Gottes Wort läßt sich darum nicht besser ausdrücken, als es in der Heiligen Schrift geschehen ist.

Weil die Schreiber der Bibel im Hinblick auf ihren Stoff und die Art und Weise, ihn darzubieten, inspiriert waren, darum sind ihre Schriften vollkommen verläßlich, verbindlich, wirksam, deutlich und ausreichend für die Wegweisung des Menschen zum rettenden Heil und zu einem erfüllten Leben. Eine direkte Folge der Inspiration ist die Klarheit der Schrift. Dunkelheiten liegen nicht im Bereich der Sache, sondern der Sprache und des kognitiven Verstehens. Die dunklen Stellen sind aus dem Vergleich mit den hellen zu deuten. Wenn man akzeptiert, daß die Bibel Gottes Wort ist, dann steht nicht die Frage im Mittelpunkt, wie wahrscheinlich die Lösung ist für Fragen, die angebliche Irrtümer der Bibel aufwerfen, sondern dann wird die Wahrscheinlichkeit der vorgeschlagenen Lösung gegen die Wahrscheinlichkeit abgewägt, daß Gott etwas Falsches gesagt hat. Die mangelnde Sichtbarkeit der Stimmigkeit von Bibeltexten spricht noch nicht automatisch gegen die Realität dieser Stimmigkeit.

Die Kanonisierung der biblischen Schriften ist als letzte Stufe der Inspiration anzusehen. Der Kanon ist kein Produkt der Kirche, sondern ein Produkt desselben göttlichen Geistes, der die einzelnen Schriften hervorgebracht hat. Insofern wurde der Kanon nicht von Menschenhand geschaffen, sondern nur von solcher anerkannt. Die Begründung der Schriftautorität geschieht durch die Schrift selbst. Konsequenz solcher Schriftautorität ist, daß die Schrift einzige norma normans (normierende Norm) sein will für das Hören auf Gott, für das Gehören zu Gott und den Gehorsam des Menschen gegenüber Gott. Die Kirche hat die Bibel entweder als ganzheitliche Richtschnur, oder sie hat überhaupt keine Richtschnur mehr. Wenn in der Bibel Menschen ohne Inspiration durch Gottes Geist reden, dann ist auch Christus keine wirkliche Autorität mehr.