Wenn Sie die Internet-homepage der Evangelischen Kirche www.evang.at besuchen, können Sie im Bereich „Dokumente“ zwei zu Fragen der Bioethik finden.
Unter dem Titel „Starre Fronten überwinden“ haben neun Evangelische Ethiker an deutschsprachigen Universitäten eine gemeinsame Stellungnahme zur Embryonenforschung abgegeben.
Schon in der Einleitung wird erwähnt, dass zwischen den Autoren Unterschiede in der Beurteilung bestehen. Das prägt diese Veröffentlichung. Gemeinsam vertreten sie die Überzeugung, dass menschliches Leben in allen Stadien seiner Entwicklung schutzwürdig ist. Später im Text wird klar, dass für manche die ersten 14 Tage nicht unbedingt als menschliches Leben zu bezeichnen sind. Womit die Schutzwürdigkeit von Embryonen für die Stammzellforschung natürlich nicht mehr gegeben ist. Die Frage „Was ist der Mensch“ wird zwar damit beantwortet, dass er nicht allein durch sein Genom (die Summe der Erbanlagen) definiert wird, die Argumentation bleibt aber doch in der Immanenz stecken. Mich erstaunt es übrigens immer wieder, wenn theologisch argumentiert wird, ohne je einmal auf die Bibel als Grundlage christlicher Ethik Bezug zu nehmen. So erscheinen mir die Überlegungen eher humanistisch-philosophisch zu sein. Aber vielleicht liegt es daran, dass es keine gemeinsame christliche Anthropologie der Verfasser gibt.
Folglich zeigt man „von der Anerkennung des anderen geleitet“ verschiedene mögliche Standpunkte auf, lässt sie nebeneinander stehen und überlässt die Verantwortung für Entscheidungen den Ärzten und Patienten.
Wer wie ich in der medizinischen Forschung tätig ist (wo sich nur ein kleiner Teil der Forscher von dezidiert christlicher geprägter Ethik leiten lässt) würde sich mehr Hilfe für die innermedizinische Diskussion und Entscheidungsfindung erwarten, als ein Papier das mehr oder weniger aussagt: „Du kannst es so oder so sehen, es ist sowieso deine Entscheidung, da evangelische Ethik nicht bevormunden will.“
Offiziellen Charakter hat die Veröffentlichung „Verantwortung für das Leben - Eine Evangelische Denkschrift zu Fragen der Biomedizin.“ Sie wurde im Auftrag des OKR AuHB von Prof. Ulrich Körtner in Zusammenarbeit mit OKR Michael Bünker im Vorjahr verfasst und von verschiedenen Gremien, darunter dem Synodalausschuss AuHB, angenommen.
Wesentlich umfangreicher als die oben rezensierte Schrift, ist sie in sich geschlossener und über weite Strecken gut und wesentlich überzeugender formuliert und argumentiert. Vieles wird detailreich erläutert, gegenübergestellt und gewichtet - wenig aber eindeutig bewertet. Absolute, verbindliche Formulierungen werden weitgehend vermieden, außer einmal in einer medizinisch-genetischen Aussage - und diese ist in ihrer Verallgemeinerung nicht haltbar. Auf dem eigenen Gebiet der Ethik ist man weit vorsichtiger: vielleicht, um keinem Betroffenen weh zu tun, vielleicht, weil eindeutige Festlegungen in unserer Gesellschaft unpopulär sind, vielleicht, weil für die Verfasser vieles wirklich gleich-gültig bleibt. Vielleicht wäre es hilfreich zum Verständnis, konkret zu erfahren, was „in ethischen Fragen“ die „gemeinsame Grundlage unterschiedlicher Positionen““ ist - auch um zu erkennen, ob man selbst auf dieser gemeinsamen Grundlage steht.
Beim Lesen des Abschnittes über die ethischen Fragen der IVF (künstlichen Befruchtung von Eizellen außerhalb des Körpers) vermisse ich die Auseinandersetzung mit der Frage: Ist ein Recht auf Fortpflanzung argumentierbar, wenn man weiß, welche ethischen Probleme mit überzähligen Embryonen sich daraus ergeben? Steckt nicht im Wunsch, sich mit allen (medizinisch möglichen) Mitteln fortpflanzen eine Art Mythos, sich in seinen Kindern unsterblich zu machen? Warum nimmt evangelische Ethik nicht tutioristisch eine Position zur IVF analog der r.k. Kirche ein, um die daraus folgenden Probleme zu vermeiden? Später steht der gute Satz „Abgesehen von wissenschaftlicher Eitelkeit und dem Ehrgeiz, das zu machen, was technisch machbar ist, gibt es für Versuche, Menschen zu klonen, keinerlei wissenschaftlich stichhaltigen Gründe.“ Abgesehen davon, das es auch Wissenschaftler gibt, die durchaus von guten Gründen dafür überzeugt sind, gilt das auch für andere Bereiche wie IVF, wenn Paare mit Kinderwunsch gedrängt werden, do noch diese und jene Möglichkeit zu versuchen. Wäre aus ethischer Sicht nicht seelsorgerliche Begleitung nötiger, als das Machbare auch zu machen zu müssen? Welche Erwartungen werden in ein Kind hineingelegt, in das man soviel investiert hat (ich meine nicht die Kosten der IVF)?
Wie eins das andere ergibt, zeigt sich im folgenden Abschnitt der Präimplantationsdiagnostik und der Überlegung, dass das eine Lösung wäre für Personen, die aus religiösen Gründen einen Schwangerschaftsabbruch ablehnen. Das bedeutet aber, dass ein noch nicht implantierterer Embryo noch nicht als Mensch gesehen wird - oder zuminderst gefühlsmäßig ich mit dem Kind nichts zu tun und keine Verantwortung dafür habe, solange es sich im Labor des Arztes befindet.
In Zusammenhang mit den aufgezählten Argumenten für eine Präimplantationsdiagnostik wird richtig angemerkt, dass auch die pränatale Diagnostik kritisch zu überdenken ist - die ja als Folge nach sich zieht, dass nur gesunde Kinder ein Lebensrecht haben. Nach Erscheinen dieser Denkschrift wurde eine deutsche Ärztin zu Unterhaltszahlung für ein Kind verurteilt, dessen Behinderung sie im Zuge der Schwangerschaftsuntersuchungen nicht erkannte: Damit hätte sie der Mutter die Möglichkeit zur Abtreibung genommen hatte. Die Behindertenorganisationen und die Kirchen hätten aufschreien müssen. Meines Wissens gab es mehr Proteste von der ärztlichen Standesvertretung, aber mehr aus standespolitischen (Berufshaftungs)gründen, weniger aus ethischen Überlegungen. Auch unsere Diakonie erscheint mir in diesen Bioethik-Fragen viel zu ruhig. Ist Abtreibung schon so zur Normalität geworden? Angesichts der Abtreibungszahlen scheinen ein paar Embryonen für die Forschung nicht der Rede wert. Die Autoren weisen auf diese Diskrepanz zwischen dem gut geschützten in vitroEmbryo und dem faktisch rechtlosen in vivo Embryo hin. Leider wird aber dann ausdrücklich im Namen der Evangelischen Kirchen dem Sinn nach argumentiert, Embryonen ausnahmsweise doch für besondere Forschungszwecke verwenden zu dürfen. Indirekt wird damit die Abtreibung als Normalfall akzeptiert. „Eh schon wurscht“, könnte man es auf Wienerisch ausdrücken.
In Summe also ein gründliches, beachtenswertes Papier, im Detail aber ein paar sehr bedenkliche Sätze. Aus der Korrespondenz mit Politikern wissen wir, dass Zitate aus kirchlichen Stellungnahmen gerade in ethischen Fragen verwendet werden, wenn sie zur Linie der jeweiligen Partei passen. Deshalb hätte ich mir weniger Abwiegelei und mehr Eindeutigkeit gewünscht. Aber das würde einem vielleicht den Vorwurf nicht mehrheitsfähiger Enge eintragen.
H. Höger