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1. Die Einheit von Wahrheit und Geschichte

Weil Gott in diese Welt durch sein Wort klar und deutlich hineingesprochen hat, darum reden Menschen von ihm und glauben an ihn. Gott erweist seine Wahrheit darin, er zeigt, daß er der wahre Gott ist dadurch, daß er ins Werk setzt, was er gesprochen und zugesagt hat. Nicht das menschliche Denken, nicht eine moralische Notwendigkeit, oder das menschliche Selbstbewußtsein begründen den Glauben, sondern daß Gott sich der Welt und dem Menschen offenbart hat. Wahrheit und Geschichte gehören darum zusammen. In der Geschichte zeigt Gott seine Wahrheit. Menschen, die im Gehorsam des Glaubens Gottes Wahrheit erfahren haben, bezeugen nicht etwa ihre spekulativen Gottesvorstellungen, sondern die Verläßlichkeit Gottes und sein Wirken in ihrem Leben.

Weil der Mensch durch den Sündenfall von Gott abgefallen ist, darum benötigt er Gottes Offenbarung. Der von Gott getrennte Mensch ist darauf angewisen, daß Gott mit ihm Kontakt aufnimmt. Der Mensch ist von Gottes Reden abhängig, wenn er Gewisses über Gott erfahren will. Er besitzt keine Wahrheit als nur jene, die Gott ihm in seiner Gnade gibt. Die Alternative wäre ein Gott, der weder gebieten, verheißen noch vergeben könnte. Der Mensch hat keinen Zugang zu den Taten Gottes in der Geschichte, es sei denn durch das Wort Gottes. Ohne Gottes Erläuterung seiner Taten in der Geschichte durch verstehbare Worte sind diese für den Menschen nicht als Offenbarung zu begreifen.

Gottes Heilsgeschehen ereignet sich in Raum und Zeit. Und auch wenn historische Forschung Glauben nicht begründen und schaffen kann, so gibt es doch keinen Glauben ohne ein vorangehendes Ereignis. Gottgewirkte Geschichte ist nicht Quelle, aber Voraussetzung des Glaubens. Geschichtswahrheiten sind nicht „zufälliger“ als Vernunftwahrheiten. Wahrheit und Wirklichkeit sind nicht auseinanderzureißen. Wo die Geschichte schwärmerisch vergleichgültigt wird, gibt es auch keine Bindung mehr an das Wort. Der Glaube macht sich aber fest an der Tat Gottes. Es gibt z.B. keinen Osterglauben ohne Osterfaktum. Bedeutung gibt es nur, wenn etwas geschehen ist, das auf diese Bedeutung hinweist bzw. auf das die Bedeutung hinweist. Faktum und Kerygma, Ereignis und Deutung lassen sich nicht trennen. Geschichtlichkeit ohne Grundlage im Faktischen ist eine a - historische Konstruktion. Ohne das Wort wird das Faktum nicht zur Wahrheit. Ohne das Faktum wird das Wort zum Mythos oder zur Fabel. Faktum und Kerygma sind für den Glauben nur miteinander zu haben, oder keines von beiden.

Gott hat sich herabgelassen, sein Wort im Wort von Menschen ergehen zu lassen. Darum will er nun aber auch demütig dort gefunden werden, wo biblische Autoren ganz menschlich von ihm gesprochen haben, nicht etwa dahinter oder jenseits davon in allgemeinen Vernunftwahrheiten oder abstrakten Gottesvorstellungen. Gott in seiner Herablassung und Anpassung an den Menschen gebraucht gerade endliche, zeitliche, zufällige Geschichtswahrheiten zum Transport seiner Offenbarung. Und seine Offenbarung besteht nicht nur aus subjektiven, pluralisierbaren Wertaussagen, sekundären Glaubensinterpretationen eines angeblichen Geschichtshandelns Gottes, sondern sie besteht aus Aussagen, die sich auf die ganze Wirklichkeit der Welt und des Lebens erstrecken. Für das biblische Wahrheitsverständnis gibt es keine Trennung von Sein und Wert. Was Wert haben will, muß wahr d.h. richtig und zuverläassig sein. Was unwahr, d.h. falsch und irreführend ist, hat keinen Wert. Verläßlich kann nur sein, was der Wirklichkeit entspricht bzw. ihr voll gerecht wird.

Das Einzelne der Geschichte und darum auch eine geschichtliche Heilige Schrift ist durch ihre Geschichtlichkeit nicht von vornherein individualistisch relativiert, sondern unter Berücksichtigung der Analogie der Inkarnation durchaus wahrheitsfähig. Weil sich Erkenntnis grundsätzlich in der Begegnung ereignet und selbst im Bereich der Naturwissenschaft in einer Art Glaubensbindung gründet, darum ist Wahrheit nie anders als geschichtlich konkrete, sprachliche und in einem persönlichen Bekenntnis ausgedrückte zu haben.

Die Kapazität der menschlichen Sprache im Hinblick auf den Transport von Offfenbarung ist nicht zu gering zu veranschlagen. Menschliche Sprache ist auf dem Hintergrund der Analogie der Inkarnation keineswegs unfähig und ungeeignet, Offenbarung zu vermitteln, denn Gott selbst gebraucht Sprache, um das Unaussagbare auszusagen. Insofern Gott sich in seiner Offenbarung an den Menschen als sein Ebenbild richtet und dessen Sprache gebraucht, wird das Gotteswort, ohne seine Eigenart zu verlieren, zum Menschenwort. Die Sprache des Menschen muß Wahrheit nicht notwendigerweise verzerren, sondern kann tatsächlich Wahrheit ohne Irrtum mitteilen. Weil Gott spricht, ist der biblische Wahrheitsbegriff keineswegs nur existentieller und praktischer Natur. Denn informative Sprache setzt Wahrheit auch im Sinne von Richtigkeit voraus. Allerdings müssen Gültigkeit und Wahrheit nicht identisch sein. Die Bibel enthält Aussagen, die heute nicht mehr gültig d.h. ethisch bindend sind, die aber dennoch wahr sind in dem Sinn, daß sie göttlichen Ursprungs und historischen Charakters sind.;